Als „Kontextuelle Verhaltenswissenschaft“ (contextual behavioral science, CBS) definieren und beschreiben Hayes und Kollegen im Anschluss an frühere verhaltenswissenschaftliche Ansätze wie jenen von B.F. Skinner eine prinzipienorientierte, kommunitäre Strategie zur vernetzten wissenschaftlichen und praktischen Entwicklung einer Verhaltenswissenschaft, die „den Herausforderungen der menschlichen Existenz besser gerecht werden soll“.
In Abgrenzung zu formistischen, mechanistischen oder organzistischen Grundmetaphern basiert der CBS-Ansatz erkenntnistheoretisch auf einer funktionalen Variante des Kontextualismus (vgl. Pepper, 1942), wobei der „act-in-context“, der funktional abzugrenzende Handlungsakt eines ganzen Organismus (Einzelne, Gruppen) in seinem jeweiligen Kontext als analytische Basiseinheit angesehen wird. Weiterhin kommt der Einbettung der kontextuellen Verhaltenswissenschaften in eine mehrdimensionale, mehrstufige Evolutionswissenschaft als kontextuelle Sichtweise des Lebens in neuerer Zeit vermehrte Bedeutung zu.
Die kontextuelle Verhaltenswissenschaft strebt die Entwicklung grundlegender und angewandter wissenschaftlicher Konzepte und Methoden an, die zur Vorhersage und Beeinflussung von – kontextuell eingebetteten – Handlungen geeignet sind. Dem Nachweis der zumindest prinzipiell möglichen Beeinflussung eines Verhaltens durch verhaltensunabhängig definierte Variablen kommt dabei eine wesentliche Bedeutung für die Abgrenzung von Verhalten und Kontext zu. Präzision, Umfang und Tiefe werden als weitere bedeutsame Merkmale von Aussagen über Verhalten angesehen.
Der funktionale Kontextualismus geht davon aus, dass die Annahmen, die für verhaltenswissenschaftliche Aussagen gelten sollen, auch für das eigene Vorgehen als Verhaltenswissenschaft Anwendung finden müssen, damit der Ansatz als erkenntnistheoretisch integer gelten kann. Dies macht auch eine Aussage zu den Interessen bzw. Werten des eigenen Vorgehens erforderlich (z.B. eine Verhaltenswissenschaft zu schaffen, die den Herausforderungen der menschlichen Existenz besser gerecht werden soll).
Die Akzeptanz-und-Commitment-Therapie (ACT) gilt als Anwendungsentwicklung der CBS. Die Bezugsrahmentheorie (relational frame theory; RFT) stellt basierend auf den Prinzipien der CBS vor allem die sprachlich-symbolischen Grundlagen von Verhalten dar. Aufbauend auf den Prinzipien der kontextuellen Verhaltenswissenschaft sind ACT und RFT eng miteinander verwoben. ACT und RFT sind in fortlaufender Entwicklung, die erkenntnistheoretischen Grundlagen des funktionalen Kontextualismus sind hingegen gewählte Orientierungen bzw. Setzungen und insofern mE von deutlich anderer Qualität.
Sammelband, in dem die CBS-Grundlagen zusammengefasst sind:
Hayes, Steven C. (2016) The Act in Context: The Canonical Papers of Steven C. Hayes (World Library of Mental Health). Taylor and Francis.
In der 2005 gegründeten Association for Contextual Behavioral Science (ACBS), haben sich Wissenschaftler und Praktiker zusammengeschlossen, die sich den Zielen der CBS verbunden fühlen. Sie hat nach eigenen Angaben inzwischen weltweit mehr als 7500 Mitglieder.
Link zum deutschsprachigen Zweig Deutschsprachige Gesellschaft für kontextuelle Verhaltenswissenschaften e.V. (DGKV). Im Oktober 2020 wird sie ihre diesjährige Tagung in Winterthur (Schweiz) abhalten.